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Bühnenbild - Richterin sitzt am Laptop

Digitaler Staat

Einfacher Zugang zum Recht – mit dem zivilgerichtlichen Online-Verfahren

Nutzerfreundlicher Zugang? Niedrigschwellige Kommunikation? Bislang eher nicht die Begriffe, mit denen man Zivilprozesse bei Gericht beschreiben würde. Das Bundesjustizministerium will das ändern. Der Beirat Digitalstrategie hat sich am 20.10.2023 mit dem Projekt befasst.

Welche Ziele verfolgt das Projekt „Zivilgerichtliches Online-Verfahren“?

Ob im Beruf oder im Privaten: Digitale Dienstleistungen und digitale Kommunikation gehören heute zur Lebenswirklichkeit fast aller Bürgerinnen und Bürger. Intuitive und nutzerfreundliche Online-Angebote prägen unseren Alltag. Wenn wir mit der Justiz zu tun haben, ist das häufig noch nicht der Fall. Komplizierte Formalien und unbekannte Abläufe erschweren Laien den Zugang zum Rechtssystem. Die Kommunikation zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten kostet Zeit und Nerven.

Mit dem zivilgerichtlichen Online-Verfahren soll sich das ändern. Das Projekt des Bundesjustizministeriums (BMJ) will es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, Zahlungsklagen von niedrigem Streitwert bis 5.000 Euro vollständig digital und mithilfe digitaler Eingabe- und Abfragesysteme einzureichen.

Davon profitieren nicht nur die rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Mitarbeitenden der Justiz. Das Online-Verfahren kann den administrativen Aufwand bei der Bearbeitung von Klagen deutlich reduzieren. Die Arbeit an den Gerichten wird effizienter und moderner.

Wie funktioniert die Online-Klage künftig?

In der aktuellen Entwicklungsphase hat das Projekt ein sogenanntes MVP („minimum viable product“) definiert, also eine erste funktionierende Anwendung. Sie soll ab Mitte 2024 bei pilotierenden Amtsgerichten erprobt werden. Das Online-Tool soll Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, zulässige und schlüssige Zivilklagen einzureichen.

Die Unterstützung erfolgt in erster Linie durch einen strukturierten Frage-Antwort-Prozess, der die Nutzerinnen und Nutzer durch alle wichtigen Schritte führt. „Haben Sie bereits schriftlich zu der Gegenseite Kontakt aufgenommen, um das Problem zu lösen?“ So könnte eine der ersten Fragen im Online-Verfahren lauten. Denn: Oft ist der vorherige Versuch einer außergerichtlichen Konfliktlösung Voraussetzung für die Erhebung einer Klage. Weitere mögliche Funktionen des Online-Tools sind verständliche Hinweise, Fehlermeldungen und weiterführende Informationen.

Die so erstellte digitale Klageschrift wird schließlich auf rechtssicherem Weg an das zuständige Amtsgericht weitergeleitet. Dieses wiederum soll die Möglichkeit bekommen, direkt mit der klagenden Partei in Kontakt zu treten. Ein solcher „Rückkanal“ erleichtert die Kommunikation zwischen den Verfahrensbeteiligten und beschleunigt den Prozess.

Vor welchen Herausforderungen steht das Projekt?

Die IT-Landschaft der Justiz ist vielfältig. Zudem sind moderne Technologien und Plattformlösungen nur bedingt mit den herkömmlichen Prinzipien des elektronischen Rechtsverkehrs vereinbar. In der Regel gibt es eine Punkt-zu-Punkt-Kommunikation über Postfächer. Das Digitalisierungsprojekt trifft daher auf einige praktische Hindernisse sowie auf technischen Anpassungsbedarf.

Zum aktuellen Zeitpunkt wird eine digitale Klageeinreichung über den elektronischen Postfach- und Versanddienst „Mein Justizpostfach“ (MJP) angestrebt. In ihr Postfach sollen sich Bürgerinnen und Bürger ganz einfach mit ihrer BundID einloggen. Die technische Anbindung der digitalen Eingabesysteme ist noch in der Entwicklung – Abfragedialoge zur Einreichung einer Zivilklage sind technisches Neuland.

Das Projekt „Zivilgerichtliches Online-Verfahren“ will jedoch nicht nur die technischen, sondern auch die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Für den Betrieb des MVP muss ein sogenanntes Erprobungsgesetz verabschiedet werden – die Vorlage eines Referentenentwurfs ist in Planung. Die Verzahnung von Technik und Recht und die agile Entwicklungsweise im Projekt stellt den Gesetzgeber hier vor Herausforderungen.

Wo steht das Projekt? Was sind die nächsten Schritte?

Seit Projektbeginn im Jahr 2022 haben das zuständige Fachreferat und ihre Umsetzungspartner einige Meilensteine erreicht. Sie haben die maßgeblichen Stakeholder – unter ihnen Bürgerinnen und Bürger, Justizmitarbeitende und Anwaltschaft – zu ihren Anforderungen und Nutzenerwartungen befragt. Außerdem haben sie mithilfe von „User Journeys“ den Ablauf zivilgerichtlicher Verfahren analysiert und auf dieser Grundlage konkrete Anwendungsfälle für das MVP festgelegt. Dabei verfolgt das Projekt zwei Ansätze: Zum einen werden digitale Eingabesysteme entwickelt, die Bürgerinnen und Bürger allgemein bei der Erstellung von Zahlungsklagen bis 5.000 Euro unterstützen. Zum anderen werden unterstützende Abfragedialoge im Bereich der Fluggastrechte entwickelt.

Als Nächstes stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen und die technische Umsetzung des Prototyps im Fokus. Ein Referentenentwurf für die Erprobungsgesetzgebung ist in Arbeit und soll zeitnah vorgelegt werden. Wenn alles gut läuft, können bereits Mitte 2024 die ersten digitalen Zivilklagen bei den Partnergerichten eingereicht werden.

Übrigens: Das Angebot richtet sich zwar zunächst an Bürgerinnen und Bürger ohne anwaltliche Vertretung. Perspektivisch soll aber auch die Anwaltschaft eingebunden werden. Mehr Informationen hält das Bundesjustizministerium

bereit.

Was sagt der Beirat und wie reagiert das BMJ? 

  • Beirat sagt: „Das Projektdesign mit der prototypischen Umsetzung von zwei Use Cases mit elf Amtsgerichten in acht Bundesländern, die aus eigenem Antrieb an dem Pilotprojekt mitwirken, ist vielversprechend. Sehr begrüßenswert ist auch die in der Entwicklung befindliche Erprobungsgesetzgebung. Der Beirat empfiehlt, die Erkenntnisse daraus auch anderen Bundesministerien und -behörden verfügbar zu machen.“ 

    Bundesministerium der Justiz (BMJ) antwortet: „Das Projekt implementiert Best-Practice-Ansätze und ist daher gerne bereit, seine eigenen Erkenntnisse und Erfahrungen mit anderen Bundesministerien und -behörden zu teilen. Dies könnte – auf entsprechende Anfragen hin – zum Beispiel in Form von Erfahrungsberichten oder Veranstaltungsbeiträgen geschehen. Dadurch könnte zukünftigen Projekten ein Lernen aus Erfahrungen ermöglicht werden.“ 

  •  Beirat sagt: „Der Erfolg steht und fällt mit der Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern und den Justizmitarbeitenden. Diesbezüglich ist die technische Umsetzung des MVPs in einer Alpha-Version mit Unterstützung des Digitalservice Deutschland ein guter Ansatz. Fragen der Usability und des User-Supports haben die Projektverantwortlichen im Blick, die Anbindung an das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist gegeben. Das erste Mock-Up war ebenfalls sehr vielversprechend, die Begleitung der Implementierung durch weitere User-Befragungen wird empfohlen.“ 

    BMJ antwortet: „Im Rahmen der nutzendenzentrierten, iterativen und partizipativen Produktentwicklung sind fortlaufende Usability-Tests als sehr wesentliches Element vorgesehen. Die Tests umfassen insbesondere auch die tiefgehende und strukturierte Befragung der Nutzenden. Der Mehrwert für die Nutzenden soll auch durch Messungen validiert werden. Die Messergebnisse können wiederum die Befragungen gezielt unterstützen (zum Beispiel: ‚Warum haben Sie den Dialog auf der Seite XY abgebrochen?‘).“ 

  •  Beirat sagt: „Der Beirat sieht bei der Entwicklung und Einführung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens für niedrige Streitwerte insbesondere folgende große Herausforderung: Bei der flächendeckenden Implementierung in allen 638 Amtsgerichten bundesweit bedarf es eines durchdachten Change Managements, weil das Projekt neue Abläufe, Prozesse und Kompetenzen bei den Amtsgerichten erforderlich machen wird.“ 

    BMJ antwortet: „Das Projekt hat das Thema Change Management und die daraus resultierenden Risiken und Herausforderungen fortlaufend im Blick. Derzeit liegen hier (noch) nicht die größten Herausforderungen, da das MVP bei den Pilotgerichten durch die Nutzung des Elektronischen Rechtsverkehrs auf eingespielten Abläufen aufbaut. Das Projekt wird die Pilotierung nutzen, um diesen Ansatz zu validieren und auf dieser Basis die Anforderungen an das Change Management für den Fall eines flächendeckenden Rollouts definieren.“